Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte den evangelischen Kirchentag in Stuttgart, um die Themen Digitalisierung und Vorratsdatenspeicherung anzusprechen. Ein ungewöhnlicher Ort für diese Materie. Doch Merkel formuliert ebenso ungewöhnliche Vergleiche; so sei Facebook für sie wie ein Auto oder eine schöne Waschmaschine. Wie jedoch fällt der Vergleich der Regierungschefin mit der aktuellen Vorratsdatenspeicherung aus? Für die Opposition, Datenschützer und die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ist auch die kürzlich beschlossene Form der Vorratsdatenspeicherung vor allem eins: verfassungswidrig.
Eine Analyse.
Die Vorratsdatenspeicherung 1.0 (2007)
Um eine Bewertung zur aktuellen Debatte bzgl. der Speicherung von personenbezogenen Daten durch oder für öffentliche Stellen entwickeln zu können, muss zunächst ein Blick auf das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung geworfen werden.
Am 9. November 2007 stimmten 366 Abgeordnete im Deutschen Bundestag (ausschließlich aus den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD) für die Einführung der Datenbevorratung. Das Gesetz sah vor, u.a. folgende Daten sechs Monate zu speichern: Mobil- und Festnetztelekommunikation, E-Mails, SMS, IP-Adressen, Funkzellendaten und jeweils dazugehörige Zeit- und Datumsangaben.
Genutzt und übermittelt werden durften auf Vorrat gespeicherte Verbindungsdaten nur zur Verfolgung von Straftaten, sowie zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit, als auch zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes und zur Erteilung von Auskünften über die Identität von Telekommunikations- und Internetnutzern.
Damalige Erklärung von SPD-Bundestagsabgeordneten – Ziel und Ausblick
Einige SPD-Bundestagsabgeordnete gaben zum kontroversen Gesetzgebungsverfahren, den Zielen und möglichen Reaktionen des Bundesverfassungsgericht eine Erklärung ab:
„Trotz schwerwiegender politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Gesetzentwurf aus folgenden Erwägungen zustimmen. Erstens. Grundsätzlich stimmen wir mit dem Ansatz der Bundesregierung und der Mehrheit unserer Fraktion dahingehend überein, dass die insbesondere durch den internationalen Terrorismus und dessen Folgeerscheinungen entstandene labile Sicherheitslage auch in Deutschland neue Antworten benötigt. […] Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.“
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Wie erwartet urteilten die Richter des BVerfG am 2. März 2010 über die eingegangen Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung (Az. 1 BvR 256/08). Das BVerfG erklärte die Vorschriften für verfassungswidrig und nichtig.
Das Gesetz in seiner damaligen Fassung verstieß gegen das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG. Das Gericht merkte an, dass eine Vorratsdatenspeicherung nicht grundsätzlich mit dem Grundgesetz unvereinbar sei; im Hinblick auf das Telekommunikationsgeheimnis der betroffenen Bürger sei aber Voraussetzung, dass die Daten nur dezentral gespeichert und mit besonderen Maßnahmen gesichert würden; die unmittelbare Nutzung der Daten durch Behörden müsse auf genau spezifizierte Fälle schwerster Kriminalität und schwerer Gefahren beschränkt bleiben; diesen Anforderungen werde das angegriffene Gesetz nicht gerecht.
Die Vorratsdatenspeicherung 2.0 und aktuelle Bezüge
Unter Beachtung des Urteils vom BVerfG bringen die große Koalition und Bundesjustizminister Heiko Maas die Vorratsdatenspeicherung nun nochmals auf den Weg der Gesetzgebung.
Alles neu macht der Mai – oder? Zumindest fand sich eine neue Bezeichnung: Höchstspeicherfrist, Mindestspeicherdauer oder auch digitale Spurensicherung. Der größte Unterschied zur Fassung von 2007 liegt in der Speicherdauer: Zehn Wochen lang soll nun gespeichert werden, wer wann mit wem über welchen Anschluss und mit welchem Gerät kommunizierte. Ferner wer mit welcher IP-Adresse wann ins Internet ging. Überdies soll vier Wochen gespeichert werden, wo sich ein Anrufer befand, während er mobil telefonierte (Funkzellen- oder Metadaten). Hingegen nicht mehr gespeichert werden sollen Daten, die bei der Kommunikation via E-Mail anfallen.
Fazit
Im ersten Moment erscheint das neue Gesetz schlanker und weniger tiefgreifend, als noch 2007. Entgegen argumentiert die FDP-Politikerin und ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger treffend:
„Wenn die Standortdaten von allen Bundesbürgern erfasst werden, dann übertrifft das sogar die alte Vorratsdatenspeicherung der großen Koalition, die verfassungswidrig war. Wenn Sie Google Maps oder Carsharing benutzen, also Dienste, die mit Ortungsdaten arbeiten, dann sind künftig Ihre Bewegungsdaten metergenau gespeichert – und der Staat darf auf diese Daten zugreifen. Die Metadaten werden also auch noch ausgeweitet.“
Neben allen Fakten und Vergleichen zwischen der neuen und der alten Fassung der Vorratsdatenspeicherung, bleibt zukünftig der Bürger stets unter Generalverdacht stehend auf der Strecke. Dies sah auch das BVerfG im damaligen Urteil als problematisch an.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kommentiert abschließend dazu:
„Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere auch von den Auswirkungen eines „diffusen Gefühls des Überwachtseins“ durch die Vorratsdatenspeicherung gewarnt. Und genau das leistet die Vorratsdatenspeicherung, egal ob 6 Monate, 3 Monate oder 2,5 Monate. Wer ohne Anlass auf Vorrat überwacht, überschreitet immer eine rote Linie.“
Ob die Neufassung daher einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält, bleibt abzuwarten.
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Bildquelle
Pixabay (CCO Public Domain)
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