Verhältnis zwischen Staat und Bürger erhält durch den „Bundestrojaner“ eine neue Qualität.

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Auf diesem Blog finden sich viele Artikel, die sich mit Problemen des Datenschutzes beschäftigen. Meistens steht auf der einen Seite ein Unternehmen (wie Google, Facebook oder Microsoft) und auf der anderen Seite befinden sich Privatpersonen. Am 24.09.2017 findet die Bundestagswahl statt. Eine gute Gelegenheit, um auf das datenschutzrechtliche Verhältnis zwischen Staat und Bürger zu blicken. Das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ trat am 24.08.2017 in Kraft – hieraus ergeben sich einige bedenkliche Änderungen in der Strafprozessordnung (StPO). Die große Koalition erntete für das Gesetz von verschiedenen Seiten harsche Kritik. Zu Recht?

Ausgangslage

Während Schwarz-Rot vor der kommenden Wahl nochmals Einigkeit demonstrierte, mit dem Ziel, die Ausgestaltung des Strafverfahrens praxistauglicher und effektiver regeln zu wollen, sprachen die Oppositionsparteien „von einem finalen Angriff auf die Bürgerrechte“. Auch der deutsche Anwaltsverein bemühte Kritik und sprach im Zusammenhang mit den Änderungen der Strafprozessordnung von „einer Rechtsgrundlage für schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen“ und äußerte im gleichen Atemzug verfassungsrechtliche Bedenken.

Worum geht es konkret

Das neue Gesetz enthält eine Vielzahl von rechtlichen Änderungen, die aber teilweise nicht auf den Datenschutz bzw. den Schutz von Persönlichkeitsrechten abzielen und deswegen hier nur am Rande Beachtung finden.

Die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung gehört jedoch eindeutig zu den brisanten Themen. In den Lesungen des Bundestages wurden vielschichtige Bedenken gegen die Gesetzesänderung geäußert, doch leider ohne Erfolg. Die Online-Durchsuchung und Quellen-Telekommunikationsüberwachung (kurz: „Quellen-TKÜ“) fanden jeweils den Weg ins Gesetz (vgl. §§ 100a , 100b StPO).

Im neuen § 100a StPO liest man nun:

„Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation darf auch in der Weise erfolgen, dass mit technischen Mitteln in von dem Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen. Auf dem informationstechnischen System des Betroffenen gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.“

Das bedeutet konkret, dass der Staat mittels einer speziellen Software unbemerkt in den heimischen Computer oder das eigene Smartphone eindringen kann, um die Daten im Verdachtsfall auszuspähen.

Beim Blick auf die nächste Norm des § 100b StPO („Online-Durchsuchung“) heißt es dann:

Auch ohne Wissen des Betroffenen darf mit technischen Mitteln in ein von dem Betroffenen genutztes informationstechnisches System eingegriffen und dürfen Daten daraus erhoben werden (Online-Durchsuchung) …“

Den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden ermöglicht die Gesetzesänderung, dass sie auch verschlüsselte Nachrichten direkt auf dem Gerät des Verdächtigten überwachen und auslesen können. Dies wurde nötig, da viele Messenger-Dienste – wie auch „WhatsApp“ – eine sog. „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ implementierten, sodass die Daten nun vor der Verschlüsselung, also noch direkt auf dem Smartphone/Computer abgefangen werden müssen, um an diese lesbar zu gelangen. Ein Ausspähen auf dem Übertragungsweg ist durch die Verschlüsselung der Kommunikation nun also nicht nur für Kriminelle erschwert, auch die Strafverfolgungsbehörden mussten sich etwas Neues einfallen lassen. Die hierfür notwendige Software hört auf den Namen „Staats-“ oder aber auch „Bundestrojaner“.

Fazit

Grundsätzlich kann wohl niemand etwas gegen eine effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens einwenden, insbesondere aufgrund der ständigen Bedrohung durch Terrorismus, überlasteter Ermittlungs-, Strafverfolgungs- und Justizbehörden sowie hoher Kriminalstatistiken.

Die altbekannte Abwägung zwischen Sicherheit und Datenschutz wurde also (wieder einmal) zu Ungunsten des Datenschutzes und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten entschieden. Die Gesetzesänderung schießt also weit über das anvisierte Ziel hinaus.

Das zeigt sich beispielsweise auch in Kompetenzumverteilungen (so ergibt sich aus § 163 StPO nun auch eine Pflicht zum Erscheinen für Zeugen bei Vorladung der Polizei, während vorher ein Richter oder die Staatsanwaltschaft die Vorladung anordnen mussten) und ebenfalls durch einen Wegfall von logischen Verknüpfungen von der strafbaren Handlung (der Tat) und der daraus resultierenden Strafe (so ergibt sich aus dem neuen § 44 StGB, dass ein Fahrverbot von einem bis sechs Monaten als Nebenstrafe verhängt werden kann, auch wenn das strafrechtlich sanktionierte Verhalten in keinerlei Zusammenhang mit dem Führen eines Kfz oder einer Gefährdung des Straßenverkehrs steht), die im gleichen Reformpaket neu geregelt wurden.

Daher bleibt es abzuwarten‚ ob alle Änderungen in ihrer jetzigen Form tatsächlich Bestand haben werden. Aufgrund der von vielen Seiten geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich das Bundesverfassungsgericht mit den vielfältigen Änderungen befassen wird.

Wie stehen Sie zu den Änderungen? Diskutieren Sie mit und schreiben Sie einen Kommentar!

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Titelbild (CCO Public Domain)

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Über den Autor

Mein Name ist Julius S. Schoor. Ich bin Rechtsanwalt und spezialisiert auf IT-Vertragsrecht. Seit 2011 bin ich als Datenschutzbeauftragter TÜV-zertifiziert und bereits für mehrere Unternehmen als solcher offiziell bestellt.

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